Es gab eine Zeit, da las ich mich durch die verschiedenen Marvel-Events, mit stetig abnehmender Begeisterung. Erstens, weil ich mich dummer- und zufälligerweise rückwärts durch das Zeug las, weshalb ich natürlich je länger, je weniger überrascht wurde, zweitens, weil ich irgendwann die Übersicht zu verlieren drohte. Also gab ich nach ein paar Events völlig genervt auf. Dabei ahnte ich nicht (bzw. hätte ich es eigentlich ahnen sollen), dass mir das Beste erst noch bevorstand: Mark Millars epochales Event Civil War, das die Superhelden nicht etwa gegen einen fiesen Bösewicht stellt, sondern ganz einfach gegeneinander selber.
Ausschlaggebend ist ein Angriff einer Gruppe jugendlicher Superhelden auf flüchtige Bösewichte, bei dem zahlreiche Zivilpersonen, darunter einige Kinder, ums Leben kommen. Die Öffentlichkeit fordert härtere Massnahmen gegen Superhelden – und so ist der Superhuman Registration Act, der voraussetzt, dass sich alle Superhelden dem Volk unterordnen, und künftig als Beamte, und nicht mehr auf eigene Faust für Recht und Ordnung sorgen, geboren. Doch längst nicht alle Superhelden unterstützten den SRA: Während Tony Stark zusammen mit Reed Richards, Hank Pym und nicht zuletzt dem weissen Haus Massnahmen zur Umsetzung dieser Reform ausarbeitet, spricht sich Captain America klar dagegen aus – und mit ihm unzählige weitere Helden. Ein Bürgerkrieg in den Reihen der Superhelden scheint unausweichlich.
Wirklich spannend an Civil War ist, dass man sich als Leser nicht für eine Seite entscheiden kann, zumindest, wenn man von den Argumenten ausgeht. Man versteht den Ärger der Öffentlichkeit über die Superhelden, die tun und lassen, wie sie wollen, genauso plausibel ist aber das Argument der sich dem SRA widersetzenden Personen, die fürchten, zu Beamten degradiert zu werden. Und so ist man den ganzen Band durch hin- und hergerissen, zwischen den beiden Parteien, und es ist Millar hoch anzurechnen, dass er dem Leser jede Möglichkeit, die in der Tagline „Whose Side Are You On“ angekündigte Entscheidung zu vereinfachen, auslässt. Man leidet genauso an diesem Zerwürfnis, wie die Figuren.
Und ganz typisch stellt Mark Millar erst einmal das ganze Marvel-Grundkonzept auf den Kopf, und sorgt so für erfrischende Spannung: Tony Stark ist für einmal der „Gute“, steht auf der Seite des Gesetzes und vertritt das Volk, ist quasi der Patriot, während der designierte Patriot, Captain America, zum Rebell wird, der aus dem Untergrund agiert. So schräg das klingen mag, so glaubhaft und authentisch hat Millar das umgesetzt. Denn Millar holt die Helden wieder auf den Boden der Realität zurück, und stellt sie – so übermächtig sie auch sein mögen – vor ein nachvollziehbares Problem. Die Frage „Was würden die Helden tun, wenn sie echt wären?“ steht immerzu im Raum, und das spürt man. Keine Entscheidung ist zu weit hergeholt, jede Wendung ist glaubhaft.
Dazu kommen grossartige Twists, Jaw-Dropper und natürlich eine Handvoll obligat gelungener Cliff-Hanger, allen voran das ikonische Unmasking von Spider-Man, das bis heute zu den wichtigsten Ereignissen im Marvel-Universum zählt. Aber auch sonst spart Millar nicht an Überraschungselementen, sodass die Lektüre von Civil War orgasmische Ausmasse annimmt, zumindest, was all die „Oh!“ und „Ah!“ und „Oh mein Gott!“ und „Jaaah!“ betrifft. In den wichtigen Momenten ist auch Steve McNivens Artwork nicht zu verachten, zwischenzeitlich hapert es aber da manchmal schon ein bisschen mit den Perspektiven und Proportionen. Generell ist es aber sehr gelungen.
Civil War ist das Beste, was ich vom neueren Marvel-Zeug gelesen habe – abwechslungsreich, überraschend und spannend bis zum Schluss. Millar holt aus seiner Story das Maximum heraus und unterhält bestens. Ausserdem bietet dieses Event einen perfekten Einstieg ins Marvel-Universum, weil es simpel und übersichtlich gehalten ist, und die Folgen dieses Superheldenkrieges bis heute noch zu spüren sind. Überdies wäre der Band eine perfekte Vorlage für einen künftigen The Avengers-Film – Kevin Feige sprach selber schon davon, dass er perfekt für den dritten Teil wäre.