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Owley am ZFF 2017: Best Of

Das 13. Zurich Film Festival ist vorbei, das gläserne Zelt wird abgebaut und der grüne Teppich eingerollt. Irgendein Helfer packt noch einige Lindor-Kugeln in seine Tasche.

In den letzten Tagen habe ich nicht nur unzählige Filme geschaut (insgesamt habe ich etwas mehr als zweieinhalb Tage im Kino verbracht), ich habe euch an dieser Stelle auch tagebuchartig über meine Zeit am und neben dem Festival auf dem Laufenden gehalten. Nun ist es also Zeit für eine Bilanz über die Filme, die ich gesehen habe. Mein Best Of gibt Aufschluss darüber, was es auch nach dem Festival im Auge zu behalten gilt.

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri
Kinostart: 25. Januar 2018

Eine Mutter versucht, die Ermittlungen zum Vergewaltigungsmord an ihrer Tochter von Neuem aufzurollen, indem sie drei Werbeflächen am Strassenrand mietet und darauf den Sheriff anprangert. Der dritte Film des irischen Filmemachers Martin McDonagh ist pointiert geschrieben und schafft den Spagat zwischen Drama und Komödie, was gerade bei diesem Thema keine einfache Leistung ist.

Darum sollte man den Film auf dem Radar behalten:
Regisseur Martin McDonagh wird für das Drehbuch zu «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» seinen zweiten Oscar holen. Ob sich der Film auch in weiteren Kategorien durchsetzen kann, ist abhängig davon, wie offen die neu zusammengesetzte Academy für heftigere Stoffe ist.

You Were Never Really Here
Kinostart: TBA

Joaquin Phoenix spielt einen Veteranen, der versucht seinem Leben einen Sinn zu geben, indem er junge Mädchen aus den Fängen von Pädophilen rettet. Regisseurin Lynne Ramsay («We Need To Talk About Kevin») schafft mit diesem melancholischen Thriller ein starkes Stück Kino, das sich nahtlos neben den Grossen des Genres einreihen kann.

Darum sollte man den Film auf dem Radar behalten:
In Cannes wurde «You Were Never Really Here» mit dem Preis für das Beste Drehbuch, sowie Joaquin Phoenix mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet. Mit viel Glück könnte sich Phoenix für diesen Film sogar ein Oscar-Ticket angeln.

120 battements par minute
Kinostart: 18. Januar 2018

Vor einigen Jahren gewann das französische Coming of Age-Werk «La vie d’Adèle» in Cannes die Goldene Palme und wurde in der Folge auf seine expliziten Lesbensexszene reduziert. Es bleibt zu hoffen, dass «120 battements par minute», der dieses Jahr mit dem Jurypreis ausgezeichnet wurde, ein ähnliches Schicksal in Bezug auf seine schwulen Protagonisten erspart bleibt. Das Drama von Robin Campillo um einige aidskranke Jugendliche im Paris der Neunzigerjahre ist ein berührendes Stück Kino, das aufwühlt und noch lange in Erinnerung bleibt.

Darum sollte man den Film auf dem Radar behalten:
«120 battements par minute» ist ein ehrlicher Film über die Stigmatisierung von aidskranken Menschen, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Auch wenn sich die Lage in Frankreich inzwischen gebessert haben mag, so ist der Film auf die weltweite Entwicklung gesehen noch immer viel zu relevant. Und alleine deshalb muss dieser Film die Aufmerksamkeit bekommen, die er verdient.

Pop Aye
Kinostart: TBA

Eher zufällig landete ich in diesem Film und ich habe es nicht bereut. «Pop Aye» der singaporianischen Regisseurin Kirsten Tan erzählt von einem Architekten, der eines Tages mit einem gekauften Elefanten Reissaus nimmt. Ein feinfühliger, kleiner Road Movie, der einen in Versuchung bringt, selber mit einem Elefanten durchzubrennen.

Darum sollte man den Film auf dem Radar behalten:
Der Hauptpreisgewinner des ZFF ist Singapores Einreichung für die Oscars und zählt sicher nicht zu den Favoriten für eine Nominierung. Aber auch ohne Aussicht auf das Goldmännchen ist «Pop Aye» ein wunderschöner Film, der eine dringende Empfehlung verdient.

The Square
Kinostart: 26. Oktober 2017

Der Film von Ruben Östlund erzählt in «The Square» von einem Kuratoren, der versuchen muss, sein Leben und sein Kunstmuseum wieder in den Griff zu bekommen. Das Kunstdrama schildert auf charmante Weise, was passiert, wenn Parallelgesellschaften unverhofft aufeinandertreffen. Man verzeiht dem Film seine leichte Überlänge (zweieinhalb Stunden) gerne.

Darum sollte man den Film auf dem Radar behalten:
Östlund sorgte bereits mit «Turist» für internationales Aufsehen, mit «The Square» gewann er in Cannes nun die Goldene Palme. Der Film wurde zudem von Schweden für die Oscars eingereicht, wo er bereits als Kronfavorit gilt.

Le Fidèle (Racer and the Jailbird)
Kinostart: 12. April 2018

Ein rasantes Drama um eine toughe Rennfahrerin (Adèle Exarchopoulos), die sich in einen Bankräuber und Kleinganoven (Michael Schoenaerts) verliebt. Der Belgier Michaël R. Roskam («The Drop») erzählt mit seinem Film die Geschichte einer zerstörerischen Liebe, frei von Klischees und Moral.

Darum sollte man den Film auf dem Radar behalten:
Wie auch «The Square» geht «Le Fidèle» von einer Pole Position aus ins Oscar-Rennen, wo er Belgien vertritt. Und Roskam sollte man ohnehin im Auge behalten, der grosse Durchbruch des flämischen Filmemachers ist nur eine Frage der Zeit. Vielleicht mit seinem nächsten Film über einen russischen Tierschützer, für den er Brad Pitt gewinnen konnte?

Brigsby Bear
Kinostart: TBA

Aus der Feder zweier SNL-Schreiberlinge und mit Unterstützung von Lonely Island stammt die Geschichte eines jungen Mannes, der als Kind entführt wurde und nur mit der TV-Serie «Brigsby Bear» aufwuchs. Nachdem er von der Polizei befreit wird, macht er sich auf die Suche nach der neuesten Folge. Dave McCarys Komödie (mit Mark Hamill in der Rolle seines Lebens) ist ebenso absurd wie tiefsinnig und wartet mit interessanten Beobachtungen des Geek- und Fandom auf. Eine echte Trouvaille.

Darum sollte man den Film auf dem Radar behalten:
Was aus «Brigsby Bear» wird, steht noch in den Sternen. Der Film hat das Potential zum Grosserfolg, viel wahrscheinlicher ist aber, dass die schrullige Komödie sich beim breiten Publikum schwertun wird. Zu unrecht, denn dieser Geheimtipp ist ein behutsam erzählter und verdammt witziger Bärenfilm.

Blue My Mind
Kinostart: 9. November 2017

Es ist schon lange her, dass ich mich so sehr für einen Schweizer Langspielfilm begeistert habe wie für «Blue My Mind». Die Zürcherin Lisa Brühlmann erzählt in ihrem Regiedebüt die Geschichte der fünfzehnjährigen Mia, die sich mit den Veränderungen in ihrem Leben zurechtfinden muss. Ein wunderschön gefilmtes, düsteres Werk über die Angst vor Veränderung.

Meine ausführliche Kritik zum Film gibt es hier.

Darum sollte man den Film auf dem Radar behalten:
Am Zurich Film Festival wurde der Film mit gleich drei Preisen eingedeckt, und das ist erst der Anfang. Dieser Schweizer Film wird auch international für Furore sorgen, da bin ich mir sicher. Und das ist auch gut, denn unerschrockene, junge Filmschaffende wie Lisa Brühlmann braucht das Land.

The Killing of a Sacred Deer
Kinostart: 11. Januar 2018

Yorgos Lanthimos ist spätestens nach dem eigenwilligen «The Lobster» kein unbeschriebenes Blatt mehr. Mit «The Killing of a Sacred Deer» dürfte der griechische Filmemacher aber endgültig ins Rampenlicht treten. Die düstere Satire mit Colin Farrell und Nicole Kidman über einen Chirurgen, der von einem fremden Jungen (meisterlich: Barry Keoghan) gezwungen wird, eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen ist ein zweistündiger Schlag in die Magengrube. Lanthimos erzählt in bester Hitchcock-Manier: Jede Szene ist unangenehm, jede Einstellung störend. Ich bin begeistert.

Darum sollte man den Film auf dem Radar behalten:
Lanthimos ist kein Unbekannter in der Academy, «The Killing of a Sacred Deer» wäre bereits sein dritter nominierter Film. Der Film ist momentan sicher noch ein Aussenseiter, aber seine Chancen sind auf jeden Fall intakt.

Jusqu’ à la garde
Kinostart: TBA

Ein eher kleiner Film von Xavier Legrand, der aber eine maximale Wirkung hat. Zwei Ehepartner streiten nach der Scheidung um das Sorgerecht und die Frage, ob der offenbar übergriffige Vater seinen Sohn noch sehen darf oder nicht. Legrand erzählt in langen Einstellungen und ohne Schnickschnack, was dem Film eine lähmende Authentizität verleiht, die ihn nahezu unerträglich macht.

Darum sollte man den Film auf dem Radar behalten:
Das Familiendrama von Xavier Legrand ist ein erbarmungsloser Film, der zeigt wie leicht eine falsche Einschätzung eine Familie ins Elend stürzen kann. Nicht unverdient ist daher die Auszeichnung für die beste Regie bei den Filmfestspielen von Venedig vor einigen Wochen.

Owley am ZFF 2017: Leergefegt

Tag 11: Sonntag, 8. Oktober 2017

Gestern Abend wurden die Preise verliehen und irgendwie fühlt sich das Zurich Film Festival dadurch heute anders an. Eine gewisse Aufbruchstimmung liegt in der Luft, niemand will mehr so richtig. Journalisten sind auf den Plätzen kaum noch zu sehen, das Festivalzentrum ist wie leergefegt. Warum die Preise bereits am Samstag verliehen werden, verstehe ich nicht ganz, wertet es doch die Sonntagsvorstellungen jener Filme, die nicht ausgezeichnet wurden ab – aber da ich da ja eh nichts verloren habe, soll’s meine Sorge nicht sein.

Immerhin, die Jury hat sich für zwei meiner Favoriten entschieden: Der herzerwärmende Road Movie «Pop Aye» aus Singapur holt überraschend die Krone im internationalen Wettbewerb, im deutschsprachigen Wettbewerb sichert sich «Blue My Mind» (5/5) das Goldene Auge. Das Regiedebüt von Lisa Brühlmann habe ich noch vor dem Zurich Film Festival sehen können und war begeistert. Das düstere Coming of Age-Drama ist packend inszeniert und mit vielversprechenden Jungdarstellerinnen besetzt – die Auszeichnung ist mehr als verdient.

Ich habe für Maximum Cinema eine ausführliche Kritik über den Film geschrieben, die man gerne hier nachlesen kann.

Mein letzter Film am diesjährigen Zurich Film Festival ist «Battle of the Sexes» (3/5) von Jonathan Dayton und Valerie Faris, die dabei die Geschichte der Tennisspielerin Billie Jean King erzählen. Diese setzte sich in den Siebzigern für Gleichberechtigung von weiblichen und männlichen Tennisspielern ein und trat in einem Tennismatch gegen den überheblichen Bobby Riggs an. Emma Stone und Steve Carell spielen die Hauptrollen in einem Film, der eine spannende Geschichte erzählt, dabei aber zu viel will und zu unfokussiert wirkt. Kein Meisterwerk, aber ein solider Film.

Am Abend treffe ich meine Freundin zum Essen und zum letzten Kinobesuch dieser elf Tage – doch kein ZFF-Film steht auf dem Programm, sondern eine Reprise in meinem Lieblingskino: Das Xenix zeigt nämlich «Forrest Gump» (5/5) als 35mm-Kopie und das wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Ziemlich geplättet fahre ich am Abend nach Hause. 33 Filme in 11 Tagen, das klang auf dem Papier viel gemütlicher, als es am Ende war. Nicht, dass ich es nicht noch einmal tun würde, aber für den Moment habe ich erst einmal genug von Filmfestivals und Kino.

Owley am ZFF 2017: Kurz mit Schokolade

Tag 10: Samstag, 7. Oktober 2017

Ich mache mich erst kurz nach Mittag auf den Weg ans Zurich Film Festival, denn heute steht nur ein Film auf meinem Programm. Tag 10 wird also der kürzeste Tag für mich – aber nach dreissig Filmen erlaube ich mir diese Pause auch. Grosszügigerweise. Ursprünglich hatte ich vor, am Morgen an die Pressevorführung von «An Unconvenient Sequel» zu gehen, aber ich habe mich letzten Endes dagegen entschieden, da ich dann bis zum nächsten Film noch einige Stunden hätte warten müssen. Und um früh aufzustehen und danach lange zu warten ist mir der Al Gore-Film dann doch nicht wichtig genug.

Stattdessen frühstücke ich ausgiebig und treffe anschliessend eine gute Freundin zum Kaffee. Das Wetter ist freundlich und ich merke, wie gut mir diese kleine Pause vom ganzen Trubel tut. Mein einziger Film heute heisst also «La Novia del desierto» (4/5) ein herziger und berührender argentinischer Road-Movie der mit 78 Minuten Laufzeit wohl alles unterbietet, was ich je gesehen habe. Aber die beiden Filmemacherinnen Cecilia Atán und Valeria Pivato brauchen auch nicht mehr Zeit um die herzerwärmende Geschichte über eine Haushälterin und einen gemütlichen Händler, die gemeinsam durch die argentinische Pampa reisen, zu erzählen.

Ich gehe noch einmal zum Festivalzentrum, um dort meinen Schokokugelnbedarf zu stillen – seit Jahren liegen dort nämlich Lindor-Kugeln auf, mit denen sich während der Festivalzeit vollzufressen eines jeden Journalisten Auftrag ist. Man munkelt, dass die ZFF-Verantwortlichen hinter den Kulissen eine heimliche Statistik führen. Der Gewinner, so die Gerüchteküche, bekommt ein Ticket für eine Galapremierenvorstellung im nächsten Jahr. Ich lange also noch einmal zu und schiebe mich und meine mit Lindor-Kugeln gefüllten Jackentaschen in Richtung Bahnhof.

Am Abend bin ich nämlich für ein Fondue verabredet (auch wenn ich mir inzwischen bereits den Appetit verdorben habe), weshalb der zweitletzte Festivaltag enstprechend kurz ausfällt.

Owley am ZFF 2017: Der drittletzte Tag

Tag 9: Freitag, 6. Oktober 2017

Langsam nähert sich das Zurich Film Festival dem Ende – bereits ist der drittletzte Tag angebrochen. Wenn alles so läuft, wie ich das geplant habe, stehen heute vier Filme auf meinem Programm. Ich starte den Tag mit «Breathe» (3/5), dem mit Spannung erwarteten Regie-Debüt von Andy Serkis. Ursprünglich wollte dieser ja eine Live Action-Umsetzung des Dschungelbuchs drehen, aber diese befindet sich nach dem Erfolg der Disney-Variante noch immer in Development Hell. Serkis hat nun stattdessen für seinen Erstling eine wahre Geschichte ausgesucht: «Breathe» erzählt die Geschichte von Robin Cavendish, der in den 60er-Jahren an Kinderlähmung erkrankte und der sich dank der Unterstützung seiner Familie und Freunde die Freude am Leben nicht nehmen liess. Der Film hat seine starken Momente, etwa wenn der von Andrew Garfield herrlich gespielte Robin an den Rollstuhl gefesselt nach Spanien reisen will, alles in allem ist «Breathe» aber zu unfokussiert und kitschig, als dass ich ihn ernst nehmen kann.

Noch nicht vollends überzeugt von Serkis’ Wechsel hinter die Kamera schlendere ich mit Nicoletta ins Riffraff, wo bereits die nächste Pressevorführung ansteht. «Jusqu’ à la garde» (5/5) steht auf dem Programm, und weder Nicoletta noch ich haben einen wirklichen Plan, was uns erwartet. Der vermeintliche Lückenfüller erweist sich aber als gute Entscheidung, denn das französische Familiendrama hat es in sich. Eine Mutter versucht, ihre Kinder nach der Scheidung von ihrem Mann (furchteinflössend gespielt von Denis Menochet) fernzuhalten – doch dieser gibt so schnell nicht nach. Xavier LeGrands Spielfilmdebüt ist ein aufwühlender Thriller, der einen so schnell nicht loslässt. Und wenn der Regisseur eine Szene dieses Films über einen missbräuchlichen Familienvater mit «Proud Mary» untermalt, stellen sich mir alle Nackenhaare auf.

Zum Glück haben wir noch etwas Zeit, um diesen heftigen Film ein bisschen sacken zu lassen. Wir setzen uns im Riffraff hin und beruhigen uns mit einem Kaffee. Ein Typ neben uns klinkt sich irgendwann ins Gespräch ein und empfiehlt mir noch einen Film für den morgigen Tag – ein südamerikanischer Roadmovie, der angeblich total gut sein soll. Mein nächster Film ist ein bisschen leichter verdaulich: «Shock and Awe» (2/5) von Rob Reiner hat dafür andere Schwächen. Der Discount-«Spotlight» über die Massenvernichtungswaffen-Rhetorik der USA vor dem Irak-Krieg geht einem mit seiner «Told you so!»-Attitüde und der undifferenzierten Charakterzeichnung verdammt schnell auf die Nerven. «Shock and Awe» hat seinen kurzen, starken Moment, als er in einigen Audioschnipseln fast schon nebenbei zeigt, wie nicht nur die Republikaner, nein auch die Helden der Demokraten für den Krieg gestimmt haben. Leider kann Reiner darauf nicht aufbauen – sein Film bleibt bis zum Schluss flach.

Ich bin noch ein bisschen hin- und hergerissen, welchen Film ich mir als nächstes ansehen möchte – ursprünglich war «Mother!» von Darren Aronofsky, der regulär im Kino läuft, geplant. Im letzten Moment beschliesse ich aber, mir noch das letzte Ticket für den Cannes-Gewinner «120 battements par minute» (5/5) zu schnappen. In rund zweieinhalb Stunden erzählt Robin Campillo die Geschichte einiger aidskranker Menschen im Paris der Neunziger Jahre, die sich mit allen Mitteln für eine offene Kommunikation seitens des Staates und vorallem gegen die Ausgrenzung von HIV-Positiven einsetzen. Die Figuren sind glaubhaft und die Schicksale gehen einem nah. «120 battements par minute» ist ein Film, der aufwühlt und wütend macht.

Am Abend wäre ich noch an einen Apéro und eine Party des ZFF 72-Wettbewerbs eingeladen, aber ich merke rasch, dass daraus nichts wird. Ich bin nach 9 Tagen und 30 Filmen ziemlich platt und brauche erst einmal meine Ruhe.

Owley am ZFF 2017: Musik in meinen Ohren

Tag 8: Donnerstag, 5. Oktober 2017

Ein bisschen übermüdet mache ich mich heute, am achten Tag des Zurich Film Festival auf den Weg in die Innenstadt. Gestern wurde es ein bisschen länger als geplant und zusammen mit meinen wenigen Schlafstunden kommt hier ordentlich was an Müdigkeit zusammen. Dabei muss ich jetzt sehr wach sein, denn auf dem Programm steht der vielversprechende «The Killing of a Sacred Deer» (5/5) von Yorgos Lanthimos. Mit seinem letzten Film «The Lobster» konnte ich zwar nicht viel anfangen, aber dieser Film haut mich komplett aus den Socken. Der Thriller mit Colin Farrell und Nicole Kidman erzählt von einem Chirurgen, der völlig unverhofft von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Schnell wird klar: Er muss eine schwerwiegende Entscheidung treffen, wenn er seine Familie retten will. Lanthimos erzählt in bester Hitchcock-Manier: Jede Szene ist unangenehm, jede Einstellung störend, jede Dialogzeile beunruhigend. Ich bin begeistert.

Wie schnell aus Glück Elend werden kann, zeigt hingegen der nächste Film, oder vielmehr die Sichtung davon: «The Ballad of Lefty Brown» (0/5) heisst der Western mit Bill Pullman, der für mich die erste grosse Nullnummer des Festivals ist. Offenbar haben meine Kritikerkollegen sogar noch weniger Geduld als ich, denn bereits nach den ersten 20 Minuten verlässt rund ein Drittel der anwesenden Journalisten das Kino. Ganz so streng bin ich nicht: Ich versuche, dem Cowboy-Film über einen trotteligen Stiefelhelden, der einen Mord aufdecken will, noch eine Chance zu geben – aber vergebens. «The Ballad of Lefty Brown» ist kein schrecklicher Film, aber mir will beim besten Willen nichts einfallen, was an diesem Western gut sein soll. Die hölzernen Darsteller spielen von ungenügend bis schlecht und die klischierte Story ist vorhersehbar. Schade um Bill Pullman, der damit seiner Karriere (oder dem was davon noch übrig ist) einen weiteren Rückschlag verpasst.

Ich treffe mich auf einen Kaffee auf dem Sechseläutenplatz mit meiner Freundin, wo wir die letzten sommerlichen oder die ersten herbstlichen Sonnenstrahlen geniessen. Oder zumindest versuchen wir das, denn es dauert nicht lange, bis sich zwei Strassenkünstler vor unserer Nase einnisten und gegenseitig zu übertönen versuchen. Am Abend habe ich noch den Filmmusikwettbewerb eingeplant, doch die Zeit davor reicht noch gut, um mir einen Film anzusehen. Nach mehreren Empfehlungen fällt die Wahl auf «Pop Aye» (5/5) einen singapurianisch-thailändischen Road-Movie, der auch als Kandidat des Stadtstaates ins Oscar-Rennen geht. Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein in die Jahre gekommener Architekt beschliesst eines Tages mit einem Elefanten, den er einem Strassenhändler abkauft, Reissaus zu nehmen. Sicher, der Film deckt jeden erdenklichen Plot Point des Genres ab, aber Kirsten Tans Langfilmdebüt macht das so liebevoll und geschickt, dass man ihm nicht wirklich böse ist.

Als letzter Programmpunkt des Tages steht, wie gesagt der Filmmusikwettbewerb an. Das ist ein Rahmen-Event des ZFF, den es zu loben gilt. Publikumswirksam verpackt als Filmmusik-Konzertabend des Tonhalle-Orchesters soll diese Veranstaltung Komponisten ins Rampenlicht rücken. Die Aufgabe dabei ist, einen vorgegebenen Kurzfilm zu vertonen. Fünf Finalisten werden an die Veranstaltung eingeladen, wo das Tonhalle-Orchester im ersten Block des Abends ihre Musik live aufführt. Das ist auch für ein breites Publikum sehr spannend, sieht man doch sehr gut, wie unterschiedlich man an eine solche Arbeit herangehen kann. Ein bisschen unglücklich ist die Tatsache, dass das Zurich Film Festival diesen Abend moderieren lässt und so die Musik selber immer wieder in den Hintergrund drängt. Aber eben – ohne grosse Selbstinszenierung geht bei diesem Festival offenbar nichts.

Nachdem der Gewinner gekürt wurde, präsentiert das Orchester im zweiten Teil des Konzertabends ein spezielles Konzertprogramm. Letztes Jahr wurden Melodien aus Science-Fiction gespielt, heuer ist das Motto «James Bond». Die Auswahl der Agenten-Themen ist zwar ein bisschen Thomas-Newman-lastig, aber das was wir zu hören bekommen macht Spass. Bei einem Bier lassen wir den musikalischen Abend ausklingen, und dann gehe ich auch schon auf den Zug. Schliesslich will ich zumindest so tun, als ob ich ein bisschen Schlaf bekomme – richtig ausschlafen werde ich auch morgen nicht können.

Owley am ZFF 2017: Ocean’s Eleven auf Beruhigungsmitteln

Tag 7: Mittwoch, 5. Oktober 2017

Vor einigen Jahren habe ich zum ersten Mal «Blade Runner» gesehen – im Kino. Damals ging ich mit einigen Freunden, die sich alle tierisch drauf gefreut haben, ihren Lieblingsfilm endlich auch einmal auf der grossen Leinwand zu sehen, ins Kino. Ich hatte entsprechend grosse Erwartungen, musste dann aber feststellen: Der Film liess mich kalt. Ich könnte inzwischen nicht einmal mehr sagen, worum es im Grossen und Ganzen ging, aber mich konnte der Science Fiction-Film nicht erwärmen. Ich kann nicht einmal behaupten, dass ich ihn schlecht finde, ich glaube, er ist schon gut – er war mir schlicht zu langweilig.

Als mich Simon von Maximum Cinema also fragte, ob ich am ZFF die Kritik zur Fortsetzung schreiben wolle, winkte ich ab – ich bin weissgott die unqualifizierteste Person um Fans, die sich auf den Film freuen, zu sagen, ob er sich lohnt oder nicht. Angesehen habe ich ihn mir natürlich trotzdem, und sei es nur, weil mit Denis Villeneuve ein fähiger Mann auf dem Regieposten sass. «Blade Runner 2049» (4/5) ist ein visuell bestechendes Werk, das einen in eine in ihrer Tristheit bezaubernde Welt entführt. Ryan Gosling kann in seinem ersten richtigen Blockbuster überzeugen – ansonsten bleibt der Cast jedoch hinter den Erwartungen zurück. Der zweieinhalbstündige Thriller ist sehr langsam erzählt, macht das aber so konsequent und bewusst, dass man ihm keinen grossen Vorwurf machen kann. Aber ein Meisterwerk, das ist «Blade Runner 2049» dann doch nicht.

Ursprünglich hätte auf den Film eine Pressevorführung zu Aaron Sorkins Debüt «Molly’s Game» folgen sollen, aber das Festival hat die Spielzeiten kurzfristig umgestellt, und nun werde ich den Film vor dem Ende des ZFF wohl nicht mehr sehen. Schade, aber das kommt halt vor. Ich geniesse deshalb einen langen Mittag und treffe mich mit einigen Freunden zum Pizzaessen. Ein bisschen Abstand vom Festival zwischendurch ist gar nicht mal so übel. Danach schaue ich mir zum ersten Mal einen Film abseits des Festivals an. Ich habe nun endlich Zeit um «Logan Lucky» (4/5) nachzuholen, der mittlerweile in einem winzigen Saal im Kino Frosch zu sehen ist. Ausser mir ist nur eine Person im Kino und allmählich wird mir klar, weshalb der Film nicht in einem grösseren Saal läuft. Soderberghs Neuester ist solide, ein witziger und gemächlicher Heist-Movie, der aber die Kinowelt kaum auf den Kopf stellen wird. Um es in den Worten meines geschätzten Kumpels Fredi zu sagen: «Ocean’s Eleven auf Beruhigungsmitteln».

Der dritte Film des Tages ist «Charlie Wilson’s War» (3/5), der von Aaron Sorkin geschrieben wurde, und deshalb als Reprise gezeigt wird. Es ist ziemlich irritierend, wie wenig Mühe sich das Zurich Film Festival gibt, vernünftige Kopien von seinen Filmen aufzutreiben. Dass «Mars Attacks!» in den mittlerweile digitalisierten Kinos nur als DVD bzw. BluRay gezeigt werden kann, verstehe ich ja noch, aber für einen erst zehn Jahre alten Film wie «Charlie Wilson’s War» sollte man doch zumindest ein DCP auftreiben können. Oder wenn man den Film schon ab Scheibe zeigt, dann wenigstens den Menümusik-Loop vor dem Film ausschalten. Der auf wahren Tatsachen basierende Film von Mike Nichols konnte mich nicht vollends überzeugen. Die Geschichte eines Kongressabgeordneten der Ende der Achtziger-Jahre quasi im Alleingang für die Finanzierung der Verteidigungskampagne der afghanischen Miliz gegen die russische Invasion auf die Beine stellt, ist faszinierend, aber auch viel zu pathetisch inszeniert. Nicholls beendet die Geschichte zudem genau an dem Punkt, wo sie spannend wird – die Folgen der Unterstützung der afghanischen Miliz bieten Stoff für einen viel interessanteren Film.

Owley am ZFF 2017: 16 bis 20

Tag 6: Dienstag, 3. Oktober 2017

Es ist bereits der sechste Tag des Zurich Film Festival und ich bin ein bisschen überrascht, wie gut ich bisher durchgehalten habe. Ich habe noch keine Pressevorführung verpennt, und das will etwas heissen, schliesslich sind die jeweils für meine Verhältnisse sehr früh am Morgen. Ich bin zurecht stolz auf mich. Der heutige Morgen begann gleich mit zwei Filmen, die nach Boston führen.

«Stronger» (3/5) von David Gordon Green thematisiert den Anschlag am Marathon vom 15. April 2013. Das Drama erzählt die Geschichte von Jeff Bauman, der damals an der Seitenlinie stand und beide Beine verlor. Der vielseitige Filmemacher wagt sich nach derben Buddy-Comedies («Pineapple Express») und nüchternen Indie-Remakes («Prince Avalanche») nun also an Oscar-Bait. Der Plan geht nur bedingt auf, Jake Gyllenhaal spielt zwar solide, der Film bietet jedoch zu wenig Neues um bis im Februar durchhalten zu können. Und: «Stronger» bleibt uns bis zum Schluss eine Erklärung für seinen Titel schuldig.

Vor dem Kino treffe ich Nicoletta, die für Blogbusters schreibt. Seit einigen Jahren sind wir quasi «Festivalbuddies» und verbringen zusammen viel Zeit während des Zurich Film Festival. Entsprechend freue ich mich, dass wir uns nun am sechsten Festivaltag endlich treffen – auch wenn der Anlass dafür «Brad’s Status» (2/5) heisst. Der Film mit Ben Stiller war bei mir eigentlich beim ersten Trailer bereits durchgefallen und ich schaue ihn mir nur an, um eine Lücke zu füllen. Als Lückenfüller taugt «Brad’s Status» dann auch bestenfalls. Die Dramedy über einen Vater, der in Boston mit seinem Sohn Colleges besucht und so irgendwie mit seiner Midlife Crisis klarzukommen versucht, hat sich bereits nach einer halben Stunde totgelaufen und ist ab da nur noch ermüdend.

Wir setzen uns vor das Festivalzentrum, wo die Sonne zum ersten Mal seit Tagen wieder scheint. Ich sehe mich mit einem Dilemma konfrontiert – in der Sonne ist es mir zu heiss, im Schatten friere ich. Die Lösung lautet, wie immer: Kaffee. Den besten solchen gibt es am Zurich Film Festival (und eigentlich auch sonst) beim Vicafe, das sich neben einer Apotheke eingenistet hat und mehr wie ein Marronistand als eine Kaffeetheke aussieht. Mir wird schlagartig bewusst. wie sehr ich meinen Lieblingskaffe als Exil-Zürcher vermisse.

Auch heute habe ich wieder eine Reprise eingeplant, wieder soll es ein Film mit Glenn Close sein, wieder ein Film, den ich noch nie gesehen habe: «Air Force One» (5/5). Für mich als Liebhaber von 90’s-Action-Filmen und vorallem dem «One Good Guy Against Many Bad Guys»-Subgenre ist der Film mit Harrison Ford als US-Präsident, dem sein Flugzeug von Terroristen entführt wird, natürlich ein Freudenfest.

Mein letzter Film heute folgt direkt im Anschluss: «Le Fidèle» (5/5) von Michaël R. Roskam. Der belgische Filmemacher hat vor einigen Jahren bereits mit «The Drop» stark vorgelegt und ich hatte nicht damit gerechnet, dass er das noch einmal toppen kann. Doch das berührende Drama über eine Rennfahrerin, die mit einem Bankräuber anbandelt (darum auch der schreckliche internationale Titel «Racer and the Jailbird») ist für mich nicht nur einer der besten Beiträge des Zurich Film Festival, sondern auch des laufenden Kinojahres.

Und damit steigt die Zahl meiner am Zurich Film Festival gesehenen Filme auf 20 – ich habe mir also meinen Feierabend also verdient.

Owley am ZFF 2017: Polanski und Regen

Tag 5: Montag, 2. Oktober 2017

Heute Abend wird Roman Polanski das Zurich Film Festival besuchen, um seinen neuen Film «D’après une histoire vraie» zu präsentieren. Die Nachricht kam erst vor wenigen Tagen und dies eher überraschend. Aber offenbar will das Festival keine Gelegenheit auslassen, um das Publikum und die Presse an das düstere Kapitel von 2009 zu erinnern. Damals wurde der Regisseur mit einem Preis für sein Lebenswerk geehrt, jedoch noch bei der Einreise in die Schweiz von der Polizei verhaftet. Der erste Skandal mit ZFF-Bezug war perfekt. Und nun ist Polanski also bereits zum zweiten Mal seit seiner Freilassung wieder am Zurich Film Festival.

Polanskis Film ist ganz in Ordnung. In «D’après une histoire vraie» (3/5) erzählt der Regisseur die Geschichte über die Autorin Delphine, die eines Tages eine mysteriöse Frau trifft, die ihr hilft, ihre Schreibblockade zu lösen. Die Freundschaft nimmt immer obsessivere Züge an, und viel zu spät wird Delphine bewusst, worauf sie sich eingelassen hat. «D’après une histoire vraie» ist solide, aber kein Film für die Ewigkeit – dafür ist er zu vorhersehbar, zu repetitiv und mit knapp zwei Stunden eindeutig zu lang geraten.

Viel habe ich heute nicht mehr vor, nur noch einen Film und danach habe ich mit Freunden abgemacht. Mein erster filmfestivalfreier Abend, das muss gefeiert werden. Es ist bereits der fünfte Tag am Festival, mein Kaffee- und Essensbudget schrumpft zunehmend und draussen ist es nass. Mit diesen Dingen kann ich mich also schon einmal nicht ablenken. Auch in Ruhe schreiben kann ich nicht, denn das Festivalzentrum ist auch am Montagmittag gut besucht. Das vermisse ich ein bisschen am diesjährigen Zurich Film Festival – eine Presse-Ecke an der man sich in Ruhe an den Laptop setzen kann oder sich vorbereiten kann. Bei drögem Wetter ist das Festivalzentrum nämlich schnell voll und selbst wenn man sich einen Platz ergattern kann, ist es entsprechend lärmig.

Ich pilgere also wieder einmal ins Riffraff wo ich gerade die Mittagsgäste kreuze und so einen frei werdenden Sitzplatz in der gemütlichen Lounge bekomme. Ich trinke, allen besseren, finanziell motivierten Vorsätzen zum Trotz, einen Kaffee und kritzle ein bisschen in meinem Skizzenbuch herum. Irgendwann ist auch schon Zeit für meinen nächsten Film: «The Hero» (3/5) mit Sam Elliott als abgehalftertem Western-Helden, der mit dem Älterwerden klarkommen muss. Das Drama von Brett Haley ist ein einfacher, ruhiger Film, der nicht zuletzt dank der starken Leistung des Hauptdarstellers gefällt.

Als ich das Kino abermals verlasse ist das Wetter noch immer unwirtlich. Ich gebe allmählich die Hoffnung auf, dass ich dieses Jahr noch einmal beim Festivalzentrum in der Sonne sitzen kann.

Owley am ZFF 2017: Abgekapselt

Tag 4: Sonntag, 1. Oktober 2017

Heute stehen wieder einmal zwei sich unglücklich überschneidende Pressevorführungen auf dem Programm. Michael Hanekes «Happy End» und der Cannes-Gewinner «The Square». Zum Glück muss ich mich nicht entscheiden, schliesslich habe ich «Happy End» ja bereits am Vorabend gesehen. Aber auch ansonsten wäre «The Square» (5/5) auf alle Fälle die bessere Wahl. Die abstruse Tragikkomödie von Ruben Östlund über Parallelgesellschaften, Verantwortung und die Kunstwelt zieht einen vom ersten Augenblick an in den Bann. Es bleibt einzig zu beanstanden, dass die schwedische Produktion mit rund zweieinhalb Stunden Laufzeit ein bisschen zu lang geraten ist – ein Umstand, den Östlund nie wirklich rechtfertigen kann.

Vor meinem nächsten Film bleibt noch etwas Zeit, und ich beschliesse, in der Stadt einige neue Sachen kaufen zu gehen. Erst als ich vor dem verriegelten und verschlossenen H&M stehe, realisiere ich, dass ja Sonntag ist und Läden dann geschlossen haben. Mir wird zum ersten Mal so richtig bewusst, wie stark ich mich in den letzten Tagen abgekapselt habe. Ist das noch normal? Brauche ich Hilfe? Hat Trump etwas Wichtiges getwittert? Ich weiss es nicht.

Auch mein zweiter Film führt mich wieder nach Stockholm zurück. Der Mann der titelgebenden «The Wife» (4/5) wird in der skandinavischen Metropole mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, weshalb das Paar die Reise nach Schweden antritt. Die von Glenn Close verkörperte Protagonistin ist dabei überraschend zufrieden mit ihrem Platz abseits des Scheinwerferlichts – doch schnell wird klar, dass etwas an dieser Rollenverteilung nicht stimmt. Der schwedische Filmemacher Björn L. Runge erzählt eine berührende Geschichte über Liebe, (unerfüllte) Wünsche und Ängste, die sich mit zunehmender Laufzeit immer stärker zuspitzt.

Als nächstes steht bei mir die Reprise von «Moneyball» auf dem Programm. Bevor es aber so weit ist, trinke ich im Riffraff noch einen Kaffee. Das kleine Kino ist zum ersten Mal Teil des Zurich Film Festival und es wirkt fast, als ob das breite Publikum davon noch nichts mitbekommen hätte. Während beim Festivalzentrum die Hölle los ist, geht hier alles gemütlich seinen Trott – genau, was ich jetzt brauche. «Moneyball» (4/5) ist denn auch so gut, wie ich mir das erhoffe. Zwar kein Film für die Ewigkeit, aber ein solides Sportdrama über das Zusammenspiel von Statistik und Sport. Eine weitere Bestätigung, dass Aaron Sorkin einer der grössten Drehbuchautoren der Gegenwart ist.

Ich treffe beim Riffraff auf Beni und seine Freundin. Beni hat als Teil des Künstlerkollektivs «Team Tumult» am ZFF 72-Trailer mitgewirkt (den sollte man sich unbedingt ansehen) und ist auch sonst schwer in Ordnung. Ich habe eine kurze Pause und einen grossen Hunger, weshalb wir beschliessen, uns einen Burger zu holen. Wir landen bei einem Laden, dessen ganze Daseinsberechtigung ist, dass er gesund oder nachhaltig oder sonst irgendwie sehr viel besser als alle andern ist. Also im Prinzip wie jeder Burger-Laden der nicht McDonald’s oder Burger King heisst.

Mein letzter Film des Tages ist «Brigsby Bear» (5/5), der schon seit einer Weile immer wieder auf meinem Radar landete, es aber ansonsten nie ins Zentrum meiner Aufmerksamkeit schaffte. Die Komödie von Dave McCary erzählt die Geschichte eines Jungen, der als Kind entführt wurde und abgeschottet aufwächst. Als er aus den Fängen seiner scheinbaren Eltern befreit wird, macht er sich auf die Suche nach der letzten Folge seiner Lieblingsserie «Brigsby Bear». Der Film mit einem bestens aufgelegten Mark Hamill in der Nebenrolle ist so schrullig wie herzerwärmend und für mich eine der grossen Entdeckungen des Festivals.

Owley am ZFF 2017: Zäh und müde

Tag 3: Samstag, 30. September 2017

Es ist erst der dritte Tag und bereits macht sich ein bisschen Müdigkeit breit. Ich habe in den ersten Tagen bereits viele Filme gesehen und wenig geschlafen. Und heute stehen erneut vier Filme auf dem Programm. Ich erwache ein bisschen zu früh und beschliesse, früher ins Riffraff zu gehen um Kaffee zu trinken und auf Touren zu kommen, bevor ich mir meinen ersten Film ansehe. «The Florida Project» (1/5) steht auf dem Programm, ein weiteres dieser unsäglich übersättigten White Trash Dramen, das durch seine ungeführte, viel zu sehr zurückhaltende Regie bei mir durchfällt. Ich scheine einfach mit dieser Art von Film nicht warm zu werden.

Als nächstes schaue ich mir wieder einmal eine Reprise an. Rob Reiner ist am Festival für die Weltpremiere seines neuen Films «Shock and Awe», von dem ich noch nicht weiss, ob ich ihn sehen werde. Auf jedenfall zeigt das Festival einige alte Filme von Reiner – wie etwa «When Harry Met Sally» (4/5), den ich mir natürlich nicht entgehen lassen möchte. Ich finde Reprisen im Kino immer gut, um Filme, die man schon längst gesehen haben sollte, aber wohl ohne zwingenden Anlass nie schauen würde, zu sehen. Die entspannte Romantikkomödie mit Billy Crystal und Meg Ryan (und natürlich Carrie Fisher), ist so ein Film. Charmant, und leicht verdaulich – fast ein bisschen wie eine lange «Friends»-Episode.

Ich treffe meine Freundin für einen kurzen Kaffee – doch sehr viel Zeit bleibt uns nicht, da ich mit Michael Hanekes Neuestem bereits den nächsten Film vor mir habe. «Happy End» (2/5) erweist sich jedoch als Fehlgriff – ich hätte es ahnen müssen. Es ist keine gute Idee, sich einen Haneke als dritten Film eines bereits sehr zähen Tages anzuschauen. Die zweistündige Tragikkomödie über eine Familie und ihre Probleme im digitalen Zeitalter und ist sehr schleppend erzählt. Die unzähligen hochformatigen Handy-Aufnahmen und Bildschirm-Videos, die der Regisseur in seinem Film einsetzt wirken deplaziert und ermüdend. Erst in den letzten 20 Minuten kommt Fahrt in diesen Film, aber für mich ist es da bereits zu spät.

Ziemlich geplättet verlasse ich das Kino. Es regnet draussen und die Menschenmasse, die aus dem Saal strömt vermischt sich mit der Menschenmasse, die am Teppich auf Rob Reiner wartet. Ziemlich chaotisch. Irgendwo dazwischen versuchen sich Trams und Limos den Weg durch die Schaulustigen zu bahnen. Mir ist das alles gerade ein bisschen zu viel, und ich beschliesse, dass das ein guter Zeitpunkt ist, den Tag zu beenden. Den letzten geplanten Film verschiebe ich auf einen anderen Tag und begebe mich stattdessen nach Hause.

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