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Owley am ZFF 2017: Arthouse, Schlachthaus

Tag 2: Freitag, 29. September 2017

Mein zweiter Festivaltag beginnt, wie das eigentlich immer der Fall sein sollte im Leben: Erst am Nachmittag. Ich komme ein bisschen früher als ich sollte zum Festivalzentrum, um meine Tickets für den nächsten Tag abzuholen. Ausserdem möchte ich noch Tickets für «Le Grand Méchant Renard» kaufen, der am ZFF als Kindervorstellung gezeigt wird. Ich habe den Film am Fantoche gesehen und war begeistert. Ich konnte meine Freundin überzeugen, ihn sich mit mir anzusehen und will deshalb unbedingt ein Ticket ergattern.

Die Dame am Schalter staunt ein bisschen, als sie sieht, was ich mir ansehen möchte. «Das ist aber ein Kinderfilm!», erklärt sie fast schon vorwurfsvoll. Sie mustert mich ein wenig und ich sehe förmlich vor mir, wie sie in ihrem Kopf die verschiedenen Szenarien durchspielt, weshalb ich mir ausgerechnet diesen Film ansehen will. «Genau, das ist ein Animationsfilm», korrigiere ich sie, wie ich es auch an der Kinokasse bisweilen getan habe. Man muss eben auch die kleinen Schlachten ausfechten. Als ich frage, ob es Reduktion für Studenten gibt, wirft sie einen Blick in den Rechner und verneint dann ein bisschen überrascht. Sie liefert dann aber gleich selber die Erklärung: «Das ist eben ein Kinderfilm, wissen Sie. Die rechnen da nicht mit Studenten.» Ich spüre erneut den Vorwurf. Letzten Endes erübrigt sich das Ganze aber für mich – aber aus ganz einem anderen Grund. Der Film wird wie angegeben zwar in seiner originalen Sprache gezeigt, gleichzeitig jedoch noch live auf deutsch synchronisiert. Irgendwie verständlich bei einem Film, den das Festival selber in die «Kinderfilm»-Schublade steckt.

Ein bisschen ernüchtert trotte ich also in meine einzige Pressevorführung des Tages. Ich treffe auf Yannick und Sven von Outnow, die mir von diversen Filmen, die sie bereits gesehen haben abraten, darunter irgendein ungarischer Film über Schlachthäuser. «Arthouse und Schlachthaus ist für mich ein bisschen dasselbe», bringt es Sven auf den Punkt, und dazu kann man dann auch gar nichts mehr sagen. Auf dem Programm steht «You Were Never Really Here» (5/5) von Lynne Ramsay, der für mich den ersten grossen Wow-Moment des Festivals markiert. «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» war bereits grossartig, aber dort hatte ich es auch ein wenig erwartet. An «You Were Never Really Here» hingegen hatte ich keine Erwartungen. Der Film mit Joaquin Phoenix als traumatisiertem Kriegsveteranen, der Kinder aus den Fängen von Pädophilen rettet, ist eine Wucht. Sicher, die Parallelen zu «Taxi Driver» sind da, doch der Thriller kann mit der nüchternen Umsetzung seiner krassen Thematik überzeugen.

Ich gehe wieder zum Festivalgelände zurück um ein bisschen zu schreiben, doch daraus wird nichts, als ich auf eine alte Arbeitskollegin treffe. Wir trinken einen Kaffee und verlieren uns in einem viel zu kurzen Gespräch über all die Dinge, mit denen wir uns an einem Festival irgendwie eben gerade nicht rumschlagen wollten. Das ZFF ist jedes Jahr auch ein bisschen ein Heimkommen – ein grosses, langes und viel zu pompöses Familienfest. Ich bin mit meinem Bruder zum Abendessen und für «Downsizing» (4/5) verabredet. Der neue Alexander Payne ist ein bisschen wie das Essen, das uns an diesem Abend im Vapiano aufgetischt wird – zubereitet ist es auf jeden Fall gut, und es macht satt. Aber lange werde ich mich nicht dran erinnern, das steht fest. Von Payne ist man eindeutig Besseres gewohnt, auch wenn die Geschichte über Überbevölkerung der Welt und den Lösungsansatz durch Verkleinerung der Menschen interessante Ideen liefert. Aber eben: Aus diesen Zutaten (unter anderem einem mal wieder überzeugenden Christoph Waltz) hätte man sicher etwas Denkwürdigeres zubereiten können.

Wegen einer Verzögerung verpasse ich den Anfang des nächsten Films, «Bam-ui Haebyeon-eoseo Honja» (On the Beach at Night Alone) (2/5). Ich merke rasch, dass ich am Besten gleich den ganzen Film verpasst hätte – das koreanische Drama über eine aufstrebende Schauspielerin, die nach einer Affäre mit einem Regisseur erst einmal untertauchen und zu sich selber finden muss, ist etwas gar ungelenk erzählt und bleibt viel zu lang viel zu oberflächlich. Für mich der erste richtige Tiefflieger des Festivals. Um mich wieder in Stimmung zu bringen, schaue ich mir zum Schluss in der Nachtvorstellung noch «Mars, Attacks!» (5/5) an, der am ZFF als Teil der Retrospektive über Glenn Close gezeigt wird (verstehe ich auch nicht so wirklich). Ich habe dieses Jahr viele Reprisen in meinem Programm, aber nur diesen habe ich bereits gesehen. Was mir bei dieser x-ten Sichtung auffällt ist, dass in diesem Film sowohl der Trump-Verschnitt als auch der US-Präsident vom gleichen Schauspieler verkörpert werden. Tim Burton, der grosse Hellseher.

Owley am ZFF 2017: Im Glashaus

Tag 1: Donnerstag, 28. September 2017

Heute geht also die dreizehnte Ausgabe des Zurich Film Festival los, für mich persönlich wird es bereits die sechste Runde sein. Und diesmal, so habe ich es mir vorgenommen, will ich mir auch nichts entgehen lassen. Die Organisatoren haben die Zahl der Pressevorführungen noch einmal massiv aufgestockt, was es für uns Medienschaffende einfacher macht, die Filme anzusehen.

Der Vorteil von Pressevorführungen ist, dass man einen Platz im Kino auf sicher hat. Will man die Filme hingegen regulär schauen, so muss man sich jeweils am Vortag um eines der begrenzten Pressetickets bemühen. Und seit einigen Jahren gibt es für die Galapremieren, also die Vorstellungen der «grossen Filme» kein Pressekontingent mehr. Am Anfang hiess das vielmals, dass man sich ein Ticket kaufen musste, oder den Film eben nicht schauen konnte. Doch diesbezüglich kann man dem Festival für seine dreizehnte Ausgabe wirklich keinen Vorwurf mehr machen – kaum ein Film am ZFF hat heuer keine Pressevorführung bekommen.

Mein Zurich Film Festival 2017 beginnt gleich mit drei solcher Pressevorführungen. Der erste davon ist der Eröffnungsfilm des Festivals: «Borg/McEnroe» (3/5) von Janus Metz. Ein Sportbiopic, dem man keine grossen Vorwürfe machen kann, das aber auch nicht lange in Erinnerung bleiben dürfte. Zu belanglos ist die Thematik (Tennis), zu konventionell die Bilder, zu durchschnittlich das Spiel von Sverrir Gudnason und Shia LaBeouf. Kein schlechter Film, aber das Festival kann nur noch besser werden. Und das wird es dann auch: Mit «The Glass Castle» (4/5) folgt weniger leicht verdauliche Kost. Der Zweistünder von Destin Daniel Cretton erzählt die Geschichte einer Familie in den Südstaaten inmitten von Luftschlössern und Alkoholismus. Woody Harrelson ist in der Rolle des trinksüchtigen Familienoberhaupts erwartungsgemäss in seinem Element, sein nuanciertes Spiel zwischen Schmerz und Verletzlichkeit ist berührend. Für mich eine erste positive Überraschung.

Aus dem Glass Castle pilgere ich ins Glasshouse, um meine Akkreditierung abzuholen. Das Festivalzentrum mit seinen gläsernen Fronten mag schön anzuschauen sein – wer hinter diesen grossen Fensterscheiben einmal eine halbe Stunde für seinen Pass angestanden hat und entsprechend gebrutzelt wurde, findet man es nur noch halb so toll. Eigentlich ist eine halbe Stunde anstehen für einen Pass auch ein Witz, aber wir sind ja schliesslich am Zurich Film Festival und offenbar ist um 12 Uhr, als das Pressedesk seine Türen öffnete gleich einmal der Server abgestürzt. Vor und hinter mir empören sich Menschen über das unorganisierte Pressedesk, ich habe es mittlerweile aufgegeben, mich drüber zu ärgern.

Mein Plan ist es, ein Ticket für «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» am Abend zu ergattern. Würde ich diesen nämlich in seiner regulären Vorstellung sehen, könnte ich auf die Pressevorführung am Nachmittag verzichten und stattdessen «Euphoria» mit Alicia Vikander schauen, der gleichzeitig läuft. Doch das Pressekontingent ist erschöpft, und die Vorstellung ausverkauft. Da ich nicht wirklich eine Ahnung habe, worum es im Vikander-Film geht, mich hingegen seit Monaten auf «Billboards» freue, ist schnell entschieden, welchen der beiden ich sausen lasse. Immerhin eine gute Sache hat mein Besuch am Pressedesk: Die jährliche Schachtel Pralinen hat auch dieses Jahr wieder den Weg zu mir gefunden.

«Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» (4/5) ist bissig geschrieben, wie man es sich von Martin McDonagh gewohnt ist. Der Ire erzählt mit seinem dritten Film die Geschichte eines unaufgklärten Vergewaltigungsmordes, den die Mutter des Opfers wieder neu aufrollt. Der Regisseur von «In Bruges» ist bekannt dafür, dass er Ernst und Humor gut balancieren kann, in diesem Film gelingt ihm das in Anbetracht der schweren Thematik aber besonders gut. Mit Frances McDormand, Woody Harrelson und Sam Rockwell ist der Film zudem grossartig besetzt. Nicht ohne Grund wird der Film bereits als Kandidat für die Oscar-Season gehandelt.

Es ist fengs sechs Uhr als ich das Kino verlasse und den Tag für beendet erkläre. An anderen ZFF-Tagen würde es um diese Zeit erst richtig losgehen, aber das Programm des weiteren Abends überzeugt mich nicht so sehr, als dass ich jetzt noch unbedingt bleiben möchte. Ich begebe mich nach Hause und freue mich auf einen heissen Abend mit meiner Pralinenschachtel.

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